Die Entwicklung der Gemeinschaftsbildung, die letzten 25 Jahre
und die Schwierigkeiten bei der Umsetzung
1978 erschien das Buch "Der wunderbare Weg" von Scott Peck, das sich schnell zu einem Weltbestseller entwickelte, insgesamt wurden alleine in Amerika 6 Mio. Exemplare verkauft. Er schildert darin seine Erfahrungen als Psychiater und Psychotherapeut. Aber es geht auch um wesentlich mehr, nämlich Persönlichkeitsentwicklung, die über die normale Therapie hinausgeht und in andere Themen mündet wie Spiritualität, Gemeinschaft und Berufung für das Leben. Das Buch stellt immer noch einen Klassiker dar in der psychologischen Literatur und wird auch in Deutschland immer wieder neu aufgelegt. Scott Peck hat einfach in seiner sehr präzisen und klaren Art wichtige Grundlagen der Persönlichkeitsentwicklung formuliert. Durch seinen Erfolg wurde er schnell ein sehr begehrter und gut bezahlter Vortragsredner. Auf seinen Tourneen fand er heraus, dass es mehr bringt, wenn die Zuhörer reden als wenn er einen Vortrag hält und fing an damit zu experimentieren. Beeinflusst durch verschiedene Modelle wie Travistock, T-Gruppen, die Quäkerbewegung und auch der anonymen Alkoholiker Bewegung entwickelte er zweitägige Workshops, in denen es darum ging, wirkliche Authentizität in einer Gruppe zu erleben. Er hat sein Tätigkeitsfeld dann völlig auf die Erforschung dieser Gruppenprozesse konzentriert. Er fand heraus, dass es vier Phasen der Gemeinschaftsbildung gibt: Pseudo, Chaos, Entleerung und Authentizität. Seine Erfahrungen beschrieb er in dem 1987 erschienenen Buch "The Different Drum", was man mit "Der andere Pfad oder Rhythmus" übersetzen könnte (auf Deutsch „Gemeinschaftsbildung – der Weg zu authentischer Gemeinschaft“ von M Scott Peck zu bestellen unter verlag@eurotopia.de oder in jedem Buchverlag).
In dem 1993 erschienenen Buch "Eine Neue Ethik für die Welt" (Englisch: "A World Waiting to be Born") beschreibt Scott Peck die Entwicklung der Gemeinschaftsbildung, ihrer Anwendung in Firmen und der FCE, der Organisation, die er 1984 für die Verbreitung der gemeinschaftsbildenden Workshops gegründet hatte. Zu dem Zeitpunkt war der Prozess in Amerika sehr verbreitet, besonders im Bereich von Firmen. Es wurden unzählige gemeinschaftsbildende Workshops abgehalten, insgesamt waren über 100 Begleiter (facilitators) aktiv. Sogar der damalige Vizepräsident der USA Al Gore schrieb über das Buch "Eine neue Ethik für die Welt": Ein extrem wichtiges Buch.
Ende der Neunziger ging dieser Boom dann zurück. Es wurden immer noch viele Workshops abgehalten, aber es war nicht mehr das, was es einmal war. Wahrscheinlich hing dieser Rückgang auch mit der Krankheit von Scott Peck zusammen, seit 1995 hatte er immer mehr mit Parkinson zu kämpfen. Fakt ist, dass es keine Firmen oder Organisationen in Amerika gibt, die Gemeinschaftsbildung regelmäßig anwenden. Aus meiner Sicht hat FCE sich zu stark auf Firmen und Workshops konzentriert und zu wenig darauf geachtet, dass sich die Gemeinschaftsbildung in Lebensgemeinschaften oder regelmäßigen Gruppen verwurzelt. Ed Groody, der sich in Amerika auf die Anwendung von Gemeinschaftsbildung in Lebensgemeinschaften konzentriert hatte, meinte auf meine Frage, warum er das nicht mehr macht, dass es ganz einfach eine Sache der Finanzen sei. Firmen können viel besser bezahlen als Lebensgemeinschaften oder regelmäßige Gruppen.
Es ist auf den ersten Blick logisch, die Gemeinschaftsbildung in Firmen anzuwenden, da eine Gruppe in regelmäßigem authentischem Zustand auf jeden Fall verbesserte Produktivität bedeutet. Aber Gemeinschaftsbildung hat Ihren Preis, sie fordert, wenn sie für einen längeren Zeitraum angewendet wird, Persönlichkeitsentwicklung und da stößt man auf Grenzen, die in einem kommerziellen Rahmen nicht so einfach verwirklichbar sind. Es ist nicht so schwer den Zustand einer authentischen Gemeinschaft in einer Gruppe herzustellen, das Problem ist die Aufrechterhaltung. Je weniger Vorerfahrung die Mitglieder in Bezug auf Persönlichkeitsentwicklung, Therapie oder Spiritualität besitzen, je größer der Sprung in die Authentizität für den Einzelnen, desto stärker die Gefahr, dass eine Gruppe in die alten Verhaltensmuster zurückrutscht. Die Einführung von Gemeinschaftsbildung in einer Firma hat zum Beispiel einen starken Einfluss auf die Paarbeziehungen der Mitarbeiter, wie Scott Peck in seinem Buch "Eine neue Ethik für die Welt" bemerkt. Eine Firma kann außerdem nicht als oberste Priorität die gegenseitige Unterstützung in der Persönlichkeitsentwicklung setzen, so etwas ist nur im Bereich von Beziehungen und Lebensgemeinschaften möglich. Letzten Endes geht es aber auch in den Firmen darum eine authentische Gemeinschaftskultur zu entwickeln, es ist nur offensichtlich ein noch schwieriger Schritt dies im kommerziellen Bereich zu verwirklichen als es bereits in privaten Beziehungen oder Lebensgemeinschaften der Fall ist. Die notwendigen Veränderungen unserer Gesellschaft zu wirklicher Gemeinschaft werden wahrscheinlich lange Zeiträume in Anspruch nehmen. Die Industrialisierung, welche diese Entwicklung überhaupt möglich machte, ist ja auch erst gerade mal 250 Jahre alt.
Ich habe eigentlich überall das Phänomen beobachtet, dass die Begleiter gemeinschaftsbildender Workshops, wenn sie nicht in einer laufenden Gruppe oder Lebensgemeinschaft fest integriert sind, mittel- beziehungsweise langfristig ein Stück weit in eine Leitungs- oder Therapeutenrolle rutschen. Das nimmt einen Teil der Kraft aus den Workshops, weil diese sehr stark davon abhängen, ob die Begleiter sich wirklich zurücknehmen können und immer im Auge haben, bei dem Prozess keine neuen Autoritätsabhängigkeiten zu schaffen, sondern sich als Begleiter so bald wie möglich überflüssig zu machen und die Gruppe in den Zustand von "a group of all leaders" zu führen, wo jeder Einzelne für die Leitung mitverantwortlich ist. Deshalb wird ein Workshop mindestens von zwei oder drei Personen begleitet, um so einer Fehlentwicklung vorzubeugen.
Scott Peck schreibt viel über die großen Schwierigkeiten und die massiven Vermeidungstendenzen einer Gruppe auf dem Wege zur Authentizität. Der zentrale Punkt auf diesem Weg ist der Übergang vom Chaos in die Leere. Er spricht an diesem Punkt von einer Art Sterbeerlebnis der Gruppe. Das Ego muss aufgegeben werden, das Verstecken der Schwächen und Schattenseiten voreinander und vor sich selbst muss beendet, die Masken müssen abgelegt werden, damit sich die Herzen wirklich füreinander öffnen können.
In dem Buch Gemeinschaftsbildung schreibt Scott Peck in dem Kapitel über die Leere: "Weil die Phase der Leere so schmerzlich sein kann, werde ich immer wieder zweierlei in Seelenangst gefragt. Das eine ist: "Gibt es nicht irgend einen Weg in die Gemeinschaft außer durch die Leere?" Meine Antwort ist "Nein." Die andere Frage ist: "Gibt es nicht irgendeinen Weg in die Gemeinschaft außer durch das gemeinsame Erleben des Gebrochen-Seins?" Wieder ist meine Antwort "Nein"."
Auch in dem 1993 erschienen Buch "Weiter auf dem wunderbaren Weg" schreibt er über diesen Punkt, auch zu finden im Kapitel Sucht die heilige Krankheit in dem Buch Gemeinschaftsbildung:
"Zu den schwierigsten Aufgaben bei meiner Arbeit mit der FCE gehört der Versuch, den Leuten zu erklären, um was es dabei geht. Die einzigen Menschen, welche die Sache sofort kapieren, sind die, die in einem Zwölf-Schritte-Programm stecken. Ihnen kann ich erklären, dass die FCE den Menschen beizubringen versucht, wie sie zu einer Gemeinschaft werden können, ohne vorher Alkoholiker werden zu müssen, ohne erst eine Krise durchgemacht zu haben. Oder besser gesagt, sie versucht den Leuten beizubringen, dass sie - dass wir alle - bereits in einer Krise stecken."
(Das Zwölf-Schritte-Programm wurde 1935 in Amerika als Selbsthilfegruppe gegen den Alkoholismus initiiert. Es hat sich weltweit verbreitet und wird auch bei anderen Sucht- oder psychischen Problemen angewendet. In Deutschland gibt es mehrere psychosomatische Kliniken wie die Klinik Bad Herrenalb, die das Zwölf-Schritte-Programm als Grundlage für ihr therapeutisches Konzept nutzen. Der erste Punkt des Zwölf-Schritte-Programms besteht darin, sich einzugestehen, dass man nicht in der Lage ist, das Suchtproblem, das man hat, zum Beispiel Alkoholsucht oder andere Süchte, wie Drogen-, Beziehungs-, Sex- oder Romanzensucht, Arbeitssucht zu bewältigen, dass man es mit dem eigenen Willen nicht schafft, dass man Hilfe benötigt.)
Woraus besteht diese Krise, dieses Gebrochensein, was meint er damit? Scott Peck beschäftigt sich in seinen Büchern viel mit dem Narzissmus, besonders in "Der wunderbare Weg" und "Eine neue Ethik für die Welt":
"Während nur eine kleine Minderheit von uns voll ausgeprägte Narzissten sind, müssen wir doch unbedingt bedenken, dass wir alle wesentliche narzisstische Tendenzen aufweisen."
"Es ist uns nicht nur möglich dem Narzissmus zu entwachsen, es ist auch unbedingt notwendig. Damit meine ich nicht, dass wir es um des persönlichen Überlebens willen tun müssen. Es ist notwendig sowohl für unser kollektives Überleben wie auch dafür, dass wir die Essenz dessen, worum es im Leben geht, begreifen. Denn unser Leben hat, wenn überhaupt, nur wenig Bedeutung, wenn es keine spirituelle Reise ist, und der Kern der spirituellen Reise besteht darin, dass wir lernen dem Narzissmus zu entwachsen." "Es ist kein leichter Kampf. Die Tentakel unseres Narzissmus sind subtil, durchdringen alles und müssen eines nach dem anderen, Woche um Woche, Monat um Monat, Jahr um Jahr abgehackt werden." "Die Ehe ist eine Form von Gemeinschaft und damit ein Vehikel, dessen wir uns bedienen können, um unseren Narzissmus abzuschleifen."
Narzissmus heißt Ich-Bezogenheit. In den Bereichen, in denen man in seiner Individuation nicht ausgereift ist, erlebt man den anderen als ein Objekt (Ich-Es Beziehung), sieht die Menschen durch eine Brille, wie sie einem nützlich sein können und nicht als eigenständige Personen. Man ist auf diesen Gebieten nicht zu sozialem Verhalten, zu wirklichem Mitgefühl und Liebe fähig (Ich-Du Beziehung). Wenn man diese Bereiche aufarbeiten will, stößt man auf unangenehme Gefühle, auf die Schattenseiten und Traumata, die dazu geführt haben, dass man auf diesen Gebieten zurück geblieben ist und diese Schutzschicht des Narzissmus entwickelt hat. Diese Bereiche werden normalerweise durch Süchte oder Vermeidungsverhalten wie übermäßigen Konsum oder Unterhaltung überdeckt, um diese unangenehmen Gefühle nicht zu spüren. Wenn es gelingt diese Verhaltensmuster aufzugeben, wird man mit diesen unangenehmen Gefühlen konfrontiert, die zu durchleben und zu verarbeiten längere Zeit in Anspruch nehmen kann. Für diese sehr schwierige Aufarbeitung ist Hilfe notwendig, um die Disziplin aufrechtzuerhalten, nicht in die Süchte und die alten Muster zurückzufallen.
In einem Workshop ist es leichter, dieses Verstecken der eigenen Krise beziehungsweise des Gebrochenseins aufzugeben, aber dies kann nur ein Anfang sein, um überhaupt erst mal diese Mechanismen zu erkennen. Um sie stabil aufzuarbeiten, benötigt man eine feste Gruppe, Lebensgemeinschaft oder Beziehung, die sich intensiv und in authentischer Weise miteinander auseinandersetzt und in der man sich gegenseitig auf diesem schwierigen Weg unterstützt.
Da die Widerstände groß sind, ist es relativ schwierig in bestehenden Gruppen oder Gemeinschaften den notwendigen Rahmen zu entwickeln, damit wirkliche Authentizität verwirklicht werden kann, sodass jedem, der einsteigt klar ist, wozu die Gruppe da ist und sich die Menschen anschließen, die bereit sind sich ihren Themen zu stellen. Wenn dieser Weg einfacher wäre, dann würde es viele authentische Gemeinschaften - und vielleicht sogar Firmen - geben, und die Trennungsrate bei Ehen und Zweierbeziehungen wäre vielleicht nicht so hoch. Nur in sehr engen Beziehungen wie Zweierbeziehungen oder Gemeinschaften, in denen man sich wirklich intensiv miteinander auseinander setzt, tauchen diese Themen auf und man kann sie nicht voreinander verstecken, führen sie zu entsprechender Reibung, entstehen die Chaosphasen, mit der Chance diese Schattenseiten anzuschauen und aufzuarbeiten.
Deshalb sind diese zweitägigen gemeinschaftsbildenden Workshops auch so wirkungsvoll, weil sie auch eine enge Beziehungssituation entstehen lassen, in der man nicht mehr voreinander ausweichen kann, und in der unweigerlich dieses schmerzliche Chaos entsteht, wo man mit dem Finger auf die gegenseitigen Schwächen zeigt, die dann in der Phase der Leere aufgearbeitet werden können.
Die Krise, von der Scott Peck spricht, hat auch viel damit zu tun, dass diese tiefe Form des Zusammenseins in unserer Welt fehlt. Es gibt einen Hunger nach authentischem und nährendem Kontakt, der durch übermäßigen Konsum und Unterhaltung nur betäubt aber nicht wirklich gestillt werden kann. Außerdem sind die Möglichkeiten begrenzt, das Gebrochensein durch Einzeltherapie zu heilen, und letzten Endes ist dafür auch die Hilfe und die Energie der Gruppe nötig, weil es nicht nur die Erkrankung eines Einzelnen darstellt, sondern -- gemäß den Forschungen in der Systemtheorie -- auch immer auf einen Fehler und Mangel im System hinweist.
Es ist unser Bestreben, mit dieser Webseite die Methode der Gemeinschaftsbildung nach Scott Peck im deutschsprachigen Raum zu verbreiten. Wir sind der Meinung, dass dieser Rahmen eine große Hilfe darstellt, wie eine Gruppe die verschiedenen Themen und Konflikte aufarbeiten kann, so dass sie immer mehr zu einer authentischen Gemeinschaft zusammenwächst und der besondere Geist in den Menschen lebt wie in der Geschichte des alten Rabbi erzählt wird.